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Muslimische Kinder: in Deutschland zwangsbekehrt? So sieht es zumindest der türkische Vizepremier.

© dpa

Friedrich-Besuch in Ankara: Türkei wirft Deutschland Zwangsbekehrung von Muslimen vor

Muslimische Kinder stünden in Europa unter Druck, ihre Kultur aufgeben zu müssen, unter anderem weil sie von deutschen Christen adoptiert würden. Das bekam Innenminister Hans-Peter Friedrich am Mittwoch in Ankara zu hören - inklusive dramatischer Beispiele.

Bekir Bozdag ist schon von Amts wegen nicht gut auf die Deutschen zu sprechen. Der für die Auslandstürken zuständige Vizepremier der türkischen Regierung versteht sich in erster Linie als Beschützer der fünf Millionen Türken in Europa, nicht als Brückenbauer. Und so war es kein Wunder, dass Bozdag bei seinem Treffen mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich am Mittwochnachmittag in Ankara vom Leder zog. Starker Tobak sei das gewesen, berichtete ein Teilnehmer hinterher. Besonders stark wurde der Tobak bei einem Lieblingsthema von Bozdag: Er warf den deutschen Behörden die Zwangsbekehrung muslimisch-türkischer Kinder in der Bundesrepublik vor.

Als treuer Gefolgsmann von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der derzeit ebenfalls viel Kritisches über die Bundesrepublik zu sagen hat, blieb Bozdag in seinem Gespräch mit Friedrich auf der Linie seines Chefs. Nach dem tagelangen Zank um die angeblich lasche Haltung deutscher Behörden im Kampf gegen türkische Extremisten in der Bundesrepublik kamen nun noch ein paar neue Streitthemen hinzu.

So kritisierte Bozdag die Sprachkurse für türkische Zuwanderer in Deutschland als „Verstoß gegen die Menschenrechte“. Nach einem 35-minütigen Monolog mit viel Kritik an Deutschland wollte Bozdag dem Gast aus Berlin schon einen schönen Tag wünschen und gehen – Friedrich habe darauf bestehen müssen, seine eigenen Standpunkte erläutern zu können, hieß es von deutscher Seite. „Durchaus konfrontativ“ sei es zugegangen.

Dafür sorgte unter anderem Bozdags Beschwerde, dass deutsche Jugendämter bei Fällen von Sorgerechtsentzug in türkischen Familien häufig Kinder an christlich-deutsche Pflegefamilien übergäben. Bei Haushaltsberatungen in Ankara Ende vergangenen Jahres sagte Bozdag, insgesamt gebe es europaweit rund 4000 solcher Fälle. „Wir stehen vor einer großen Tragödie und einer großen Assimilierung“, sagte er damals.

Die Wortwahl war kein Zufall. Erdogan selbst hatte im Jahr 2008 in seiner berühmt-berüchtigten Kölner Rede vor einer Assimilierung der Türken in Deutschland gewarnt und diese als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegeißelt. Dahinter steht die Grundannahme der türkischen Regierung, dass die Auslandstürken in Europa unter einem permanenten Druck stehen, ihre kulturellen und auch religiösen Traditionen aufzugeben.

Kein Thema symbolisiert diese Befürchtung so eindringlich wie das angeblicher Zwangsbekehrungen und Zwangsadoptionen. Erst vergangene Woche berichtete die türkische Presse über ein von Bozdag vermitteltes Wiedersehen einer jungen Türkin aus Deutschland mit ihrer Mutter: Die heute 19-jährige Elif Yaman aus Gelsenkirchen verließ demnach vor sieben Jahren auf Beschluss der deutschen Behörden ihre türkische Familie und wuchs bei deutschen Christen auf. Türkisch lernte sie nie. Die Behörden hätten den Sorgerechtsentzug damit begründet, dass die türkische Familie wegen finanzieller Problemen nicht für die Tochter sorgen könne.

Nun fielen sich Mutter und Tochter beim Wiedersehen in Sakarya südlich von Istanbul vor laufenden Kameras in die Arme. Elif Yaman betonte, sie habe ihren muslimischen Glauben auch in ihrer neuen Familie frei ausüben können. Laut Bozdag ist das aber längst nicht immer so.

Friedrich sagte dagegen in seinem Gespräch mit dem Vizepremier, es werde stets zuerst nach türkischen Pflegefamilien gesucht. Deren Zahl reiche aber nicht aus, weshalb einige Kinder an deutsch-christliche Familien gingen. Ein „Massenphänomen“ sei das alles ohnehin nicht.

Für sich allein genommen sind die Zahlen allerdings auch unwichtig. Bedeutender für den Zustand der bilateralen Beziehungen ist, dass in Ankara angenommen wird, die Deutschen wollten die Identität der Türken in der Bundesrepublik nicht akzeptieren. Daraus spricht ein Misstrauen, das auch in Erdogans Beschwerden über den angeblichen Schlendrian deutscher Behörden in der Terrorbekämpfung zum Ausdruck kam.

So hätte Friedrichs erster Ministerbesuch in der Türkei mit Missklängen enden können. Doch sein türkischer Amtskollege Muammer Güler gab sich zum Abschluss des Besuches des CSU-Politiker am Donnerstag wesentlich offener. Ein „sehr einvernehmliches Klima“ habe geherrscht, hieß es nach der Begegnung. Zwar gab es inhaltlich keine erkennbare Bewegung im Streit um die Terrorbekämpfung, doch beide Minister gaben sich Mühe, den Zwist zu entschärfen. Man betonte die deutsch-türkischen Gemeinsamkeiten und den Wert der engen Kooperation. Auch bei ungelösten Problemen im deutsch-türkischen Verhältnis macht der Ton die Musik.

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